Unser Arbeitspapier

„Wir wollen mit den Menschen, die hier leben, die Lausitz transformieren“ (Daniel Kühnel im Interview HERMANN 7/2022). Das unterstützen wir, Lausitzer Kunst- und Kulturschaffende, Bürgerinnen und Bürger, ausdrücklich und danken der Initiative zur Finanzierung eines länderübergreifenden Mehrspartenfestivals. „Der in der Lausitz omnipräsente, übergroße und eigentlich technische Begriff `Strukturwandel` wird weiter in seine Bestandteile zerlegt und gelangt damit auf menschlich erfahrbares Terrain“ (Daniel Kühnel und Maria Schulz im Vorwort des Programmheftes 2023 2. Fassung). Diese menschliche Erfahrung kennen die Lausitzerinnen und Lausitzer aufgrund Ihrer Herkunft. Zahlreiche kulturelle und soziokulturelle Initiativen haben in der Region in den letzten 30 Jahren herausragende Arbeit geleistet. Die Idee, diese Initiativen mit überregionalen Künstlerinnen und Künstlern zusammenzubringen und durch ein gut budgetiertes Festival internationale Aufmerksamkeit auf die Lausitz zu lenken, ist sehr weitsichtig und ermöglicht auf qualitätvolle Weise, die vielfältigen Potenziale sichtbar zu machen.

Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg als Schirmherren attestieren dem Festival, dass es ihm immer besser gelinge, „die Potenziale der spannenden Lausitzer Orte, der Akteurinnen und Akteure sichtbar zu machen. Was wiederum ermutigend ist für die Lausitzerinnen und Lausitzer und sie mit Stolz auf ihre Heimat blicken lässt.“ (Vorwort im Festivalprogramm 2023, 1. Fassung). Wir – also die hier angesprochenen Lausitzerinnen und Lausitzer – fragen uns jedoch, wer oder was hier gemeint ist. Wir ganz sicher nicht.

Wir stellen Fragen und wir fordern Transparenz!

1. Die Finanzierung

Das Lausitz Festival wird jährlich mit über 4 Mio. Euro aus Bundesmitteln, Mitteln der beiden Länder Sachsen und Brandenburg und über Sponsorenbeiträge finanziert. Die Wege des Geldes sind dubios, wie das VAN Magazin am 10.8.2022 – ohne Folgen – offenlegte (https://vanmagazin.de/mag/johannes-kahrs-kulturpolitik).

In diesem Jahr werden nach der vierten Durchführung über 16 Mio. Euro ausgegeben worden sein, was angesichts der hochkarätigen Künstlerinnen und Künstler, die das Festival in die Lausitz holt, und dem Anspruch an die Aufführungsformate sicher angemessen ist. Bisher wurden allerdings lokal verankerte und regional vernetzte Institutionen, Veranstalter, Touristiker, Soloselbständige im künstlerischen Bereich und Dienstleistungsunternehmen in strategische Überlegungen zum Lausitz Festival nur unzureichend eingebunden. Die gewünschte Transformationskraft, die Kunst in der Region entfalten soll, wurde nicht in den Lausitzer Strukturen verankert, obwohl die Idee des Lausitz Festivals das Potenzial hätte. Menschen mit jahrelanger Expertise in den vielfältigen Strukturen vor Ort, als Kunstschaffende oder Organisierende hochrangiger Veranstaltungen, die in der Lausitz viel ehrenamtliches und professionelles Engagement eingebracht haben, werden in der inhaltlichen Ausrichtung des Festivals übergangen. Von den Auswirkungen auf die Identität und das Selbstwertgefühl einer sich in einem hochsensiblen Transformationsprozess befindlichen Region ganz zu schweigen, wirft es auch Fragen finanzieller Art hinsichtlich der Förderstruktur auf. In der Lausitz handelnde Kultur-Akteure stehen einer heterogenen Förderlandschaft gegenüber, die großes Engagement voraussetzt. Es gibt nur wenige, relativ gering dotierte Kultur-Förderinstrumente, die eine 100%-Förderquote ermöglichen, weshalb die Träger von Kulturveranstaltungen meist mit unterschiedlichen Finanzierungsgebern arbeiten, die im Vorfeld der Projektumsetzung aufwändig akquiriert werden müssen. Die relativ komfortable Finanzierung des Lausitz Festival im Vergleich zu den Finanzierungsoptionen von teilweise seit Jahrzehnten in der Lausitz agierenden Kunstvereinen, Veranstaltern, Kunst- und Kulturschaffenden, die vor Ort Transformation gestalten, muss begründet werden. Es ist eine sowohl quantitative als auch qualitative Evaluation des Festivals notwendig, um die Erfüllung der eingangs beschriebenen Aufgabe, abzubilden.

2. Das Zielpublikum

Das Lausitz Festival besitzt keine eindeutige Zielgruppendefinition. Da die zentralen Themen des jeweiligen Programms nicht mit den regionalen Akteuren abgestimmt und vor allem internationale Künstlerinnen und Künstler mit überregionaler Strahlkraft engagiert wurden, ist zu vermuten, dass die Zielgruppe ebenfalls überregional angesiedelt ist. Die Lausitzerinnen und Lausitzer finden sich überwiegend nicht im Programm. Die Chance, aus dem internationalen Schlaglicht nachhaltige Effekte zu erreichen, ist damit verschenkt. Eine Konkretisierung der Zielgruppe ist deshalb unerlässlich und für die Ausrichtung des Lausitz Festivals und den damit verbundenen Marketingaktivitäten entscheidend.

Die Erfassung der Besucher und Besucherinnen-Zahlen erfolgt bisher durch die Angabe der prozentualen Auslastung. Diese Praxis ist in der Kunstförderung unüblich, weil man hier stets mit absoluten Teilnehmenden- oder Besuchenden-Zahlen argumentiert, um die Strahlkraft in die Gesellschaft zu dokumentieren. Veranstaltungen, die mit 20 Gästen kalkuliert sind, können bei 15 Teilnehmenden eine 75%-Auslastung kommunizieren – diese Angabe ist deshalb für eine Einschätzung des Kunst-Transfers in die Region ungeeignet. Je nach Veranstaltungsformat und künstlerischem Inhalt sind natürlich auch geringe Teilnehmenden-Zahlen förderwürdig, müssen aber dennoch an absoluten Zahlen gemessen werden, die beim Lausitz Festival z.B. im Rahmen einer quantitativen Evaluierung erfasst werden können.

3. Das Programm

Zweifellos bietet das Programm hochkarätige Namen und Beiträge. Für dieses Jahr wurde der Slogan „Hereinforderung“ mit folgendem Leitmotiv benannt: „Der Zusammenprall von Idealen und politischer Wirklichkeit, der auch als Spannungsverhältnis zwischen religiöser und politischer Aktion beschrieben werden kann“ (aktuelle Internetseite Lausitz Festival). Die inhaltliche Konzeption lässt den roten Faden, den ein solches Thema in einer seit vielen Jahrhunderten durch politische und religiöse Transformation geprägten Region mit einer zweisprachigen sorbischen/wendischen Geschichte bieten könnte, leider vermissen. Das Programm scheint willkürlich zusammengestellt und wenig verortet. So erlesen die einzelnen Beiträge auch sein mögen – sie korrespondieren weder miteinander noch mit der Region.

Beunruhigend ist ebenso die fehlende Einbeziehung von ostdeutschen Künstlerinnen und Künstlern. Gerade in der angespannten politischen Situation ist der Austausch künstlerischer Positionen und der Aufbau europa- oder weltweiter Netzwerke sinnvoll und wichtig, aber dafür müssen die Betreffenden vor Ort auf Augenhöhe einbezogen werden. Auf diesem Weg entsteht der nachhaltige Mehrwert für die Region und ein andauernder, kulturell mitgestalteter Transformationsprozess.

4. Leitung/Intendanz und Beirat

Die Besetzung der Intendanz des Lausitz Festivals ist nicht transparent und dadurch nicht nachvollziehbar. Dies ist angesichts der hohen Fördersumme, für die diese Person die Verantwortung trägt, ein Vorgang, der erklärt werden muss. Das wiederkehrende Engagement bestimmter Kunstschaffender erscheint ebenfalls fragwürdig. Steigende Skepsis und das Gefühl, dass die Inhalte des Festivals ohne die nennenswerte Einbeziehung regionaler Identitäten und Erfahrungen wie der benannten sorbischen/wendischen Kultur oder die Reflexion der bereits erlebten Transformationserfahrung gestaltet werden, sind die Folge. Das hinterlässt negative Spuren – das Gegenteil des Effekts, der durch die Festivalaktivitäten gewünscht ist. Generell erachten wir es für notwendig, über eine zeitgemäße und der Größe des Festivals angemessene Struktur neu nachzudenken.

In diesem Kontext stellt sich die Frage, welche Funktion der Künstlerische Beirat ausübt bzw. ausüben darf. Das Gremium wurde durch Vertreterinnen und Vertreter aus der Lausitz besetzt, die aufgrund ihrer vielfältigen Tätigkeiten die Stimmung vor Ort, die künstlerischen Bedarfe der Region und die Ideen existierender Initiativen einbringen könnten. Hier ist ein größeres Mitgestaltungsrecht im Vorfeld zur Programmentwicklung nötig, um die Kulturakteure der Region nachhaltig in das Lausitz Festival zu integrieren und Transformation zu leben. Der Beirat muss ein Ort offener Diskussion und gelebter Demokratie werden.

Wir befürchten, dass die mangelnde Verankerung des Lausitz Festivals zu negativen politischen Folgen führen kann. Gleichzeitig befürworten wir ausdrücklich die Weiterführung des Formats unter einer stärkeren Beteiligung lokaler Akteure und der Erhöhung der Transparenz bei Entscheidungen personeller oder inhaltlicher Natur. Das Lausitz Festival kann und soll auch in Zukunft Macherinnen und Macher, Künstlerinnen und Künstler in diese einmalige Region holen und mit den lokalen Akteuren zusammenbringen. Die internationale Sichtbarkeit ist unabdingbar für einen erfolgreichen Transformationsprozess, der von den Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen werden muss. Und dafür braucht es Mitgestaltungsoptionen und die Erläuterung der strukturellen Prozesse.

Wir fragen:

Angesichts der im nächsten Jahr bevorstehenden Wahlen erachten wir, der Demokratie verpflichtete Lausitzerinnen und Lausitzer, die Causa Lausitz Festival als zu wichtig, um sie den undemokratischen Kräften und Parteien zu überlassen. Wir fürchten, dass die Intransparenz der bisherigen Abläufe Argumente für radikale Positionen bieten könnte. Dies wollen wir verhindern und einen zukunftsfähigen partizipativen Prozess starten!

Wir wollen mitwirken, diesen Prozess voranzubringen. Wie kann dies organisiert werden?

Gemeinsam eine lebendige Lausitz gestalten!


Die ersten Unterzeichnerinnen und Unterzeichner sind (in alphabetischer Reihenfolge der Familiennamen; Stand vom 05.12.23):

  1. Jörg Ackermann, Beratung-Vernetzung-Organisation
  2. Nassib Ahmadieh, Kulturschaffender und Vorsitzender „Kulturfreunde Finsterwalde“
  3. Michael Apel, Geschäftsführer Spremberger Kino und Kultur GmbH
  4. Claudia Arndt, Kulturschaffende und Sozialwissenschaftlerin
  5. Gisela Christl, Spreewald Christl, Lübben
  6. Ricarda Ciontos, NORDWIND FESTIVAL UND PLATTFORM Berlin
  7. Dr. Gisela Damaschke, Vorsitzende Förderverein Lübbener Musikschüler
  8. Alexander Dettke, Geschäftsführer Wilde Möhre GmbH und Nette Leute GmbH
  9. Cornelia Déus, Dipl. Ing. / kunst- und kulturinteressiert
  10. Hagen Domaška, Dresden
  11. Robert Engel, Vorsitzender des Niedersorbischen Kulturvereins Studnja e.V.
  12. Heidrun Fichtner, Rentnerin, Görlitz
  13. Friedhard Förster, Naturschutzstation „Östliche Oberlausitz“ und Verein Meetingpoint Memory Messiaen, Oppach und Dresden
  14. Franziska Fränkel, Cottbus/Chóśebuz
  15. Daniela Frankowa, muzikaŕka
  16. Frank Gieschke, kulturinteressierter Lausitzer
  17. Amadeus Gollner, Schauspieler am Staatstheater Cottbus und bereits in einer Produktion „Antigone Neuropa“ als Akteur beim Lausitzfestival
  18. Bernhard Gowinski, VKB
  19. Golde Grunske, Choreografin
  20. Torsten Hauser, Bühnenmeister
  21. Sandy Hebel, Vorstand Kreative Lausitz e.V.
  22. Matthias Heine, Lesebühne Cottbus
  23. Karsten Held, Kulturarbeiter, Hoyerswerda
  24. Elisabeth Herrmann, Autorin
  25. Mario Heß, Musikpädagoge und Musiker/vocal matador
  26. Christian Hoyer, Leipzig
  27. Jan Hufenbach, Jan Hufenbach & Kohlschmidt GbR
  28. Annett Jagiela, Inhaberin „Jagielas im Erlichthof“
  29. Maxi Jost, Künstlerin/Kulturmanagerin Platte Macchiato
  30. Daniel Jurke, Musiker, Görlitz
  31. Gregor Kliem, sorbischer Musiker und Musikethnologe
  32. Manuela Kohlbacher, Vorstand Kreative Lausitz e.V.
  33. Arielle Kohlschmidt, Blendwerck
  34. Marko Kowar, Internationales Folklorefestival Łužica-Lausitz
  35. Petra Kullack
  36. Angelika Kurowski, Journalistin, ver.di-Seniorin, Redakteurin der Onlinezeitung „Die Querköppe“
  37. Jessy James LaFleur, Bühnenpoetin und Gründerin der Spoken Word Akademie
  38. Sylke Laubenstein-Polenz, Spremberg/Grodk
  39. Uwe Lehmann, Diskjockey, Moderator, Organisation Parksommerträume Altdöbern
  40. Hartmut S. Leipner, Stellvertretender Vorsitzender der Domowina/zastupny pśedsedaŕ Domowiny
  41. Grit Lemke, Filmschaffende
  42. Sabine Michel, Regisseurin & Autorin
  43. Frank Müller, Hoyerswerda
  44. Harald Müller, Theater der Zeit GmbH
  45. Maja Nagel, Malerin/ Grafikerin/ Filmemacherin
  46. Reiner Nagel, sorbischer Filmemacher
  47. Roman Pernack, Filmemacher
  48. Ralf Posselt, DJ & Eventmanager
  49. Bettina Renner, Regisseurin
  50. Jens-Uwe Röhl, Projektingenieur, Kulturaktivist/Veranstalter
  51. Mechthild Roth, Leitung theaterpaedagogische Werkstatt Grosshennersdorf / Hillersche Villa 
  52. Donald Saischowa, DOSFILM Cottbus, Mitglied Łužycafilm – Sorbisch-Deutsches Filmnetzwerk
  53. Antje Schadow, Vorstand Kunstbauerkino e.V. Großhennersdorf
  54. Hertha Schnurrer, Schwedt
  55. Caroline Schulz, Projektleitung im IBA-Studierhaus, Kulturlandschaft Lausitz im IBA-Studierhaus e.V.
  56. Regina Segieth, 1. Vorsitzende Strombad e.V. Cottbus
  57. Timon Skoddow, Umweltingenieur, Kind von Hoy
  58. Jörg Sperling, Vorsitzender des Kunst- und Kulturfördervereins Cottbus e.V. (Galerie Ma/rie/mix 23)
  59. Hella Stoletzki, bildende Künstlerin
  60. Djamila Talmon-Gros, Maskenbildnerin, Strausberg
  61. Torsten Tannenberg, Geschäftsführer bei Sächsischer Musikrat e.V.
  62. Rainer Vogel, Mitglied der Złykomorowjska pśěza/Senftenberger Spinte der Domowina-Ortsgruppe Zły Komorow
  63. Susann Vogel, Kultur- und Medienpädagogin B.A., Literaturwissenschaftlerin M.A., Mitglied Lesebühne Cottbus, Gründungsmitglied Senftenberger Kunstkollektiv „Strandgut“
  64. Wolfgang Wache, Vorsitzender NLZ-Ich schreibe! e.V. und Begegnungsstätte & Galerie MARGA
  65. Andreas Wenske, freiberuflicher Musiker
  66. Ursula Wicklein-Förster, Germanistin, Gesellschaft katholischer Publizisten, Verein Meetingpoint Memory Messiaen, Dresden
  67. Heidemarie Wiesner, sorbische Pianistin

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